Modell & Wirklichkeit des Deutschlandtakts

erstellt von: am: 09.11.2021

Modell & Wirklichkeit des Deutschlandtakts

Welche Zahlen und Daten sollten für eine seriöse wissenschaftliche Betrachtung eines Riesenprojekts wie dem Deutschlandtakt herangezogen werden?

Wenn eine wissenschaftliche Betrachtung auf Hochrechnungen, modellmäßig ermittelten Faktoren und Quotienten, Glättungen einzelner Ausreißer, heruntergebrochenen Werten, aggregierten Daten, weitestgehend validen Schätzungen, teilweisen Unplausibilitäten, Schätzungenauigkeiten und vermuteten Unschärfen basiert, sollten alle hellhörig werden.(1)

Eine letzte umfangreiche Veröffentlichung des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) im August dieses Jahres zur wirtschaftlichen Darstellung des Deutschlandtakts in der Ausgestaltung gemäß des „3. Zielfahrplans“ (3), kann als letztes Aufbäumen vor einem Paradigmenwechsel interpretiert werden. Auf mehreren hundert Seiten wurde die „Gesamtwirtschaftliche Bewertung des Deutschlandtakts“ erläutert. Hinzu kamen die umfangreichen Bauvorhaben, die ein solches Konzept benötigt – ein von Fachleuten auf aktuell 50 – 60 Milliarden Euro geschätztes Super-Mega-Projekt. Das Datenmaterial für die Bewertung des Deutschlandtakts basiert auf statistischen Modellen, die sich aus veralteten Werten aus ­2012, 2010 und älter ableiten. Es wurden keinerlei aktuelle und reale, das heißt gemessene, Zahlen-Daten-Fakten herangezogen. Wer seine Hochrechnungen auf so dünnem Modell-Material stützt, muss sich über Fehleinschätzungen und Fehlentwicklungen nicht wundern.

Im Vordergrund stehen grundsätzlich die Reisezeiten und Anbindungen des Fernverkehrs. Der Schienengüterverkehr ist untergeordnet. Der Nahverkehr wird in seiner Bedeutung unterschätzt.

Die „Gesamtwirtschaftliche Betrachtung des Deutschlandtakts“ stützt sich u.a. auf das Methodenhandbuch des Bundesverkehrswegeplans (2), auf Zahlen mit 10-jährigem Dienstjubiläum und auf Formeln, die nicht der aktuellen Wertigkeit von Aspekten wie Ressourcenverbauch, Mobilitätswende und Klimaschutz entsprechen. Den Vorgaben der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden keine Beachtung geschenkt.

  • Welchen Nutzen hat eine Reisezeitverkürzung pro Minute bei steigendem Verbrauch an Bodenfläche, Strom und CO2?
  • Wie kann der Güterschienenverkehr gestärkt werden, der als Lückenbüßer in die Kapazitätsrestzeit des Personenverkehrs gelegt wird?
  • Wie werden die Entwicklungsmöglichkeiten des Schienengüterverkehrs berücksichtigt als zukünftige Alternative zum Schiffsverkehr (Warenströme China-Duisburg, die Seidenstraße der Bahn)?
  • Welchen Nutzen kann man von Leistungsbegriffen wie „Personenkilometer“ ableiten, ohne die Begleitumstände zu betrachten, zb. die Emissions-Entlastung des städtischen und umländlichen Autoverkehrs?
  • Welcher Nutzen ergibt sich aus der Berechnung von Fahrgastzahlen, deren Unterscheidung, ob Nahverkehr- oder Fernverkehrreisende, simpel nach kleiner oder größer 50 Kilometer Fahrstrecke erfolgt?

Der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) hat einen viel größeren Anteil an der Personenbeförderung als die Berechnungen des BMVI zum Deutschlandtakt verlautbaren

Das BMVI stützt sich in seiner Bewertung des Deutschlandtakts auf die folgenden Bundes-Gutachterlichen (Trimode + Intraplan) Aussagen und Zahlen (3):

AbschnittReisende pro Jahr
im Querschnitt – SPNV
Reisende pro Jahr im Querschnitt – SPFV

Bezugsfall (Ist)Planfall (Soll) Bezugsfall (Ist) Planfall (Soll)
Hannover-Wunstorf7,7 Mio7,6 Mio 14,8 Mio 19,4 Mio
Wunstorf-Minden1,7 Mio *1,7 Mio * 11,5 Mio 15,9 Mio.
Minden-Löhne**1,9 Mio 11,2 Mio 3,1 Mio
Löhne-Herford ** ** 9,0 Mio 12,8 Mio
Herford-Bielefeld 1,6 Mio 1,9 Mio 9,1 Mio 13,3 Mio

* Maximumwert ** Nicht ablesbar
Quelle: Trimode + Intraplan – Deutschlandtakt – Bewertung Infrastrukturmaßnahmen für den 3. Gutachterentwurf, 17.08.2021

Konkrete Zahlen zum Schienenpersonennahverkehr (SPNV) liegen dem Verfasser direkt vor:

AbschnittReisende/TagGegenrichtung Reisende/TagReisende pro Jahr im Querschnitt, Faktor 265*
Hannover-Wunstorf (LNVG)(2016) 16.500(2016) 16.5008,7 Mio
Wunstorf-Minden (LNVG) (2016) 4.350(2016) 3.9502,2 Mio
Minden-Löhne (NWL)3.800 (Mo-Fr)3.900 (Mo-Fr)2,0 Mio
Löhne-Herford (NWL) 4.100 (Mo-Fr)4.500 (Mo-Fr)2,3 Mio
Herford-Bielefeld (NWL) 6.500 (Mo-Fr)6.900 (Mo-Fr)3,6 Mio
Tabelle: Reisendenzahlen abgefragt beim niedersächsischen Aufgabenträger LNVG (Abschnitte Hannover-Minden) sowie beim nordrhein-westfälischen Aufgabenträger NWL (übrige Abschnitte). In der vierten Spalte angegeben sind die jährlichen Querschnittsbelastungen, basierend auf den werktäglichen Fahrgastzählungen. Die tatsächliche Querschnittsbelastung liegt möglicherweise höher, da Fahrten am Wochenende nicht berücksichtigt werden konnten.
*Das Methodenhandbuch des BVWP legt für den Fernverkehr einen Faktor von 348 zugrunde. Der Faktor 265 stellt also eine vorsichtige Rechenweise dar. Je höher der Faktor, desto mehr Reisende pro Jahr!

Die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) und der Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) tragen auf der Strecke zwischen Hannover und Bielefeld maßgeblich zu einem reibungslosen Nahverkehr bei

AbschnittReisende pro Jahr
im Querschnitt – SPNV,
(Trimode + Intraplan)
Reisende pro Jahr
im Querschnitt – SPNV, Faktor 265*
(LNVG und NWL)

Bezugsfall (Ist)Planfall (Soll) Gemessene Daten (2016)
Hannover-Wunstorf7,7 Mio7,6 Mio 8,7 Mio
Wunstorf-Minden1,7 Mio *1,7 Mio * 2,2 Mio
Minden-Löhne**1,9 Mio 2,0 Mio
Löhne-Herford ** ** 2,3 Mio
Herford-Bielefeld 1,6 Mio 1,9 Mio 3,6 Mio
* Der Faktor 265 stellt eine vorsichtige Rechenweise dar. Je höher der Faktor, desto mehr Reisende pro Jahr!

Die Zahlen sprechen für sich – der Nahverkehr, sprich die Betreibenden Gesellschaften, haben einen weit unterschätzten Anteil am Gelingen der Mobilitätswende. Mehr noch: dem Nahverkehr wird überhaupt keine Entwicklung (Steigerung der Fahrgastzahlen) prognostiziert. Die echt gemessenen Reisendenzahlen (Pendler) aus dem Jahr 2016 liegen bereits höher als das Bezugsjahr 2030 vom Bundesgutachter des BMVI!

Schätzungen und Hochrechnungen für den Deutschlandtakt tragen nicht dazu bei, dass dem Nahverkehr mehr Wertschätzung und damit verbunden auch mehr Gelder für den Bahninfrastrukturausbau zugebilligt werden. Das muss sich ändern! Bei einem so weitreichenden Projekt wie dem Deutschlandtakt sollte man genaue Datengrundlagen und moderne Bewertungsmethoden erwarten dürfen. Die Millionen Pendler im Nahverkehr und die Hundertausenden Fernreisenden – allesamt Steuerzahlende – werden einen ökonomisch und ökologisch, seriös, wissenschaftlich, sinnvoll umgesetzten Zielfahrplan des Deutschlandtakts gern annehmen.

Quellen:

  1. https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/verkehrsverflechtungsprognose-2030-schlussbericht-los-5.pdf?__blob=publicationFile
  2. https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/BVWP/bvwp-methodenhandbuch.pdf?__blob=publicationFile
  3. https://www.deutschlandtakt.de/news-und-downloads/downloads/#articlefilter=alle

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