Humanitäre Hilfe als politische Waffe – Das Erdbeben in der Türkei und in Nordsyrien

erstellt von: am: 25.03.2023

Humanitäre Hilfe darf nicht zur politischen Waffe werden – Das Erdbeben in der Türkei und in Nordsyrien

Die Erdbebenkatastrophe in der Südtürkei und in Nordsyrien, die bei uns zu Unrecht schon wieder aus den Medien verschwunden ist, war unter dem obigen Motto Gegenstand eines jezidischen Informationsabend im Raschplatz-Pavillon am 17. März 2023.

Kurdische, jezidische Politiker*innen, auf dem Podium und per Internet aus dem Erbebengebiet zugeschaltet, berichten eindrucksvoll aus persönlichem Erleben von dem Erdbeben selbst und der katastrophalen Lage vor Ort bis heute. Sie analysieren auch politische Hintergründe der andauernden schwierigen Lage in den betroffenen Gebieten. Dass bei dem Beben die Mehrzahl der neuen Wohnhäuser eingestürzt ist, hat, wie berichtet wird, mit eklatanten Bausünden zu tun, denn unter Erdogans Regime wurden die bestehenden Vorschriften für erdbebensicheres Bauen in den Städten flächendeckend ignoriert, für die Bauunternehmen gab es zudem mehrfach großzügige Amnestien. Das hatte nun eine enorme Zahl von Toten zur Folge, wahrscheinlich das Doppelte der offizielle Zahl von Fünfzigtausend, Menschen, die bei erbebensicherem Bauen nicht hätten sterben müssen.

Zur heutigen Lage, Wochen nach dem Beben. Wird in den Berichten die zunehmende Not der Überlebenden herausgestellt. Bei winterlicher Kälte und Starkregen mit Überschwemmungen ist in den betroffenen türkischen und nordsyrischen Gebieten kaum Hilfe angekommen, es fehlen Zelte, Nahrungsmittel und Kleidung. Der türkische wie der syrische Staat vernachlässigen trotz anderslautender Propaganda nicht nur die eigene staatliche Hilfe vor Ort in unverantwortlicher Weise, sie behindern außerdem auch die angelaufene internationale Hilfe, indem Hilfstransporten an den Grenzen die Durchfahrt verweigert wird, diese teilweise sogar geplündert werden. Tausende kurdische Familien, unter ihnen auch viele Jeziden und Aleviten, die die Katastrophe des Erdbebens überlebt haben, kämpfen obdachlos und ohne ausreichende Nahrung in Kälte und Nässe ums bloße Überleben. Hinzu kommt nun auch noch die Seuchen-Gefahr wegen fehlender sanitärer Anlagen. Nur die kommunalen Rettungskräfte aus der eigenen Bevölkerung sind vor Ort aktiv und versuchen mit ihren begrenzten Mitteln das Schlimmste zu verhindern. Bei den Überlebenden hat jede Familie Kinder, Eltern und Verwandte verloren und neben der materiellen Hilfe wäre auch psychologische Betreuung  dringend notwendig, was auch nur zum Teil möglich ist. In den nordsyrischen Gebieten, dem Bereich der kurdischen autonomen Selbstverwaltung, auch bekannt unter dem Namen Rojava, setzt das türkische Regime außerdem seine militärischen Angriffe mit Bombardements auch in den Erbebengebieten weiterhin fort.

Berichte und Kommentare kommenen an diesem Abend vom Podium und auch direkt aus den Erdbebengebieten per Internet in deutscher und kurdischer Sprache (mit anschließender deutscher Übersetzung). Auf dem Podium sind neben der Moderatorin Nora von Women Defend Rojava als Diskussionsteilnehmer Nihad Akdogan, Abgeordneter der HDP in Nordsyrien und Sübeye Polat vom Verein Initiative für Frieden und Hoffnung in Kurdistan e.V., außerdem der Übersetzer Iman Kahraman und die Übersetzerin Cicek Yikliz.

Nach den Podiumsgesprächen ist im ersten Teil des Abends Suad Hiso aus dem Kanton Sheba per Internet zugeschaltet . Sie ist Sprecherin des jezidischen Frauenverbandes in Afrin, Nordsyrien. Im  zweiten Teil der Veranstaltung berichtet dann zunächst vom Podium Zübeye Polat aus den Erdbebengebiet in Afrin und danach per Internet Feleknas Uca von dem Beben, von dem sie in Diyarbakir persönlich betroffen gewesen ist. Sie war bis 2015 Abgeordnete der Partei Die Linke im Europa-Parlament und lebt seit 2015 in der Türkei. Sie ist dort Mitglied der HDP und ist als Abgeordnete der Stadt Diyarbakir Mitglied des  türkischen Parlaments.

Da derzeit Spenden an die meisten Hilfsorganisationen durch Interventionen der türkischen Verwaltung und des Assad-Regimes nicht in den kurdischen Gebieten ankommen, werden Spenden an die beiden vor Ort tätigen Organisationen Kurdischer Roter Halbmond „Heyvar sor a kurdistanê“ (www.heyvasor.com) und Medico International (www.medico.de) empfohlen.

Übersicht über die ungekürzten Tonaufzeichnungen im Podcast

  1. Einführung in die Veranstaltung mit Moderatorin Nora
  2. Nihad Akdogan ( HDP) über die Situation in der Südtürkei (kurdisch mit Überstzung) 2.1 Die Lage vor dem Erbeben 2.2 Weitere Berichte
  3. Suat Hiso : Sprecherin des jezidischen Frauenrates in Afrin, zugeschaltet aus Sheba 3.1 Begrüßung und Vorstellung 3.2 Gespräch über die Erfahrungen und Probleme vor Ort in Afrin 3.3 Bombardements und militärische Übergriffe 3.4 Entwicklung der Lage in den gesamten Rojava-Gebieten 3.5 Was können wir tun?
  4. Zübeyde Polat über ihre persönlichen Erlebnisse beim Beben in der Südtürkei 4.1 Bericht auch über unterlassene Hilfeleistung und die Bausünden im Erdbebengebiet 4.2 Fragen und Diskussion 4.3 Beitrag von Nihad  (Kurdisch mit Übersetzung ins Deutsche)
  5. Feleknas Uca (HDP) 5.1 Persönliches Erleben des Erdbebens in Diyarbakir, beeindruckende Schilderung 5.2 Der Ausfall staatlicher Rettungskräfte und Behinderung anderer Hilfe töten tausende Menschen. Die neuen Wohngebäude waren nicht erdbebensicher. Dies verschuldet den Tod zehntausender Menschen in Diyarbakir und überall im Erdbebengebiet.. 5.3 Nach dem Beben: Eklatante Versäumnisse bei der staatlichen Hilfe, Rettungsgüter von NGO‘s werden abgefangen. Überschwemmungen und Kälte bedrohen die Menschen. 5.4 Was können wir tun? Politische Unterstützung durch die BRD fehlt.
  6. Allgemeine Diskussion 6.1 Spenden an intern. Organisationen kommen nicht bei den Opfern an. Spenden an den Kurdischen Roten Halbmond und Medico International werden empfohlen (s.o.). 6.2 Die Bewertung der derzeitigen beiden Angriffskriege gegen die Ukraine und gegen die Kurden durch die Weltöffentlichkeit und in ihrer tatsächlichen Bedeutung.

Mitschnitte und Fotos von Axel Kleinecke

1. Einleitung
2.1 Nihad Akdogan über die Lage vor dem Erdbeben (Kurdisch mit Übersetzung ins Deutsche)
2.2 Nihad Akdogan: Weitere Berichte (Kurdisch mit Übersetzung ins Deutsche)
3.1-2 Suat Hiso Berichte 1 (Kurdisch mit Übersetzung ins Deutsche)
3.3-5 Suat Hiso Berichte 2 (Kurdisch mit Übersetzung ins Deutsche)
4.1 Zübeyde Polat : Unterlassene Hilfeleistungen nach dm Beben
4.2 Zübeyde Polat; Fragen und Diskussion
4.3 Beitrag von Nihad (Kurdisch mit Übersetzung)
5.1-2 Feleknas Uca: Berichte 1
5.3-4 Feleknas Uca; Berichte 2





6.1 Diskussion: Spenden und Hilfe
6.2 Diskussion: Angriffskriege – Krieg gegen Rojava im Vergleich mit Ukraine-Krieg
Podium: von Links nach Rechts: Cicek Yikliz – Zübeyde PolatNoraNihad AkdoganIman Kahraman

Foto: Axel Kleinecke


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